Von Frank Patalong
Der Fall erschüttert Australien. Sechs mal binnen vier Tagen ging der achtjährige Isaraelu mit seiner Mutter zum Arzt, weil es ihm immer schlechter ging. Dann starb er an Meningitis, weil die Mediziner die Krankheit nicht erkannten - trotz Symptomen wie Erbrechen von Blut und Lähmungserscheinungen.
Als Isaraelu Pele, acht Jahre jung, ein Fieber entwickelte, sich immer häufiger erbrach und über rasende Kopfschmerzen klagte, taten seine Eltern genau das richtige: Gleich mehrere Male brachten sie ihn zum Arzt, lieferten in zweimal ins Krankenhaus ein.
Die Ärzte beruhigten die Eltern, empfahlen viel Flüssigkeit und ein Kopfschmerzmittel. Wenige Tage später war er tot.
Solche Dinge passieren, so tragisch sie sind, doch die Umstände dieses Todesfalles wachsen sich zu einem Skandal aus, der Gesellschaft und Politik in Australien erschüttert.
Für die Oppositionsparteien ist die Tragödie nur ein weiteres Zeichen, wie weit die Standards im australischen Gesundheitssystem, vor allem aber dem des Bundesstaates New South Wales schon verfallen sind. Sie fordern eine Untersuchung des Falles, setzen Gesundheitsministerin Reba Meagher unter Druck. Die kann nur auf die Auskünfte der Ärzte verweisen: Der Junge habe keine Symptome der Krankheit gezeigt, an der er schließlich starb.
Die australischen Medien sehen das anders: Anscheinend nahmen sich die Ärzte nur nicht die Zeit, den Jungen überhaupt zu untersuchen.
Die Leidensgeschichte Isaraelus, von seinen Eltern Elu genannt, begann am Freitag vorletzter Woche. Das als zurückhaltend beschriebene Kind klagte über Kopfschmerzen, entwickelte ein leichtes Fieber und Schwindelgefühle. Die Mutter tat, was Mütter in solchen Fällen tun: Sie brachte ihn zu einem örtlichen Gesundheitszentrum, wo ihm ein Mittel gegen Übelkeit verschrieben wurde.
Doch Elus Zustand verschlechterte sich weiter, am nächsten Morgen fuhr ihn die besorgte Mutter zum Hausarzt. Elu bekam Schmerzmittel und etwas gegen das Fieber.
Es wurde nicht besser. Als er in der Nacht zum Sonntag begann, sich zu erbrechen, brachte ihn die Mutter zum Bankstown Hospital in Sydney. Dort wurde ein leichtes Fieber festgestellt und dem Jungen Limonade angeboten, bevor er wieder entlassen wurde: Wenn es nicht besser würde, solle man doch zurückkommen.
Limonade und Kopfschmerztabletten
Zu diesem Zeitpunkt, sagt die Mutter Fai Pele, habe er nur noch über seine Kopfschmerzen geklagt. Zuhause angekommen, verfiel der Junge bald darauf in Panik, als er seine Beine zeitweilig nicht mehr bewegen konnte.
Der Hausarzt zeigte sich am Montagmorgen entsetzt, dass der Junge wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Umgehend ordnete er die Einweisung in eine Kinderklinik an, dem Westmead Children's Hospital. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Junge seit Tagen nichts mehr gegessen. Die Ärzte diagnostizierten eine Dehydrierung, verabreichten Limonade und einen Tropf mit Kochsalzlösung.
Elu begann wieder, sich zu erbrechen, diesmal neben Magensäure auch Blut. Die Ärzte nahmen Blut- und Stuhlproben und gaben nach zwölf Stunden Entwarnung: alles in Ordnung, nichts festzustellen. Zu diesem Zeitpunkt, sagt die Mutter, hätten sich Elus Augen immer wieder unkontrollierbar nach oben verdreht, so dass man nur das Weiße gesehen hätte. Laufen konnte er auch nicht, aber entlassen wurde er: ohne Befund. Die Ärzte, sagt sie, hätten sie behandelt wie eine Irre, als sie versuchte, auf den Zustand des Jungen aufmerksam zu machen. Elu wurde noch einmal entlassen.
System unter Beschuss
Es sollte der letzte Krankenhausaufenthalt im Leben des Jungen werden. In den nächsten Stunden verfiel er immer mehr, am Montagabend dann fühlte sich seine Stirn kalt an. Wieder ein Krankenwagen, wieder ein Krankenhaus, wo nur der Tod festgestellt werden konnte. Diagnose: Herzstillstand, hieß es erst. Bald darauf war klar: Der Junge war an Meningitis gestorben, an Hirnhautentzündung.
Seitdem kocht in New South Wales die Volksseele.
Es ist nicht der erste Skandal des dortigen Gesundheitswesens, das wie alle seine Pendants in der industrialisierten Welt unter zunehmender Kritik steht: Immer schlechter werde es, immer durchrationalisierter, mit immer knapperen Ressourcen - das alles kommt auch uns bekannt vor.
Der Skandal wanderte von der Ebene der Krankenhäuser hin zum zuständigen Gesundheitsamt und von dort hoch zur Regierungsebene. Sie wolle der offiziellen Untersuchung des Falles durch die Gerichtsmedizin nicht vorgreifen, sagt Gesundheitsministerin Meagher und lehnt jeden weiteren Kommentar ab. Sagt nur, dass nach Auskunft der Ärzte der Junge keine Symptome gezeigt habe.
Symptome wofür? Blut brechen, partielle Lähmungen, rasende Kopfschmerzen über Tage?
Nein, auf Meningitis habe den Jungen niemand getestet, gibt zerknirscht Patrick Moore, Leiter der regionalen Gesundheitsbehörde, gegenüber ABC News zu. Aber: "Sehr wenige Kinder sterben an dieser Krankheit, was bedeutet, dass wir in den meisten Fällen die richtige Diagnose stellen." Selten und tragisch sei es, wenn so etwas passiere. Auch Meningitis ist selten und tragisch.
Vier Tage nach dem Tod des Jungen hatte die Familie so weit ihre Sinne wieder beisammen, dass abgrundtiefe Trauer begann, in Wut umzuschlagen. Sie will den Fall vor Gericht bringen, will volle Einsicht in alle eventuell vorhandenen Akten der Krankenhäuser.
Tony Penna, Leiter der Kinderklinik, die einen Blut brechenden Jungen mit dem Befund "nichts festzustellen" entließ, verweist darauf, wie diffus Elus Symptome gewesen seien: "Erbrechen und Kopfschmerzen können Anzeichen vieler Krankheiten sein", erklärte er den ABC News. "Wenn wir uns dazu entschieden, bei jedem Kind mit diesen Symptomen eine Lumbalpunktion durchzuführen, müssten wir jede Stunde eine machen."
Die australische Presse sieht das anders: Für sie ist Elus Tod ein Fanal für den akuten Niedergang der öffentlichen Dienste. "Diese Regierung", konstatierte am Sonntag der "Daily Telegraph", "hat die Fähigkeit zur Führung verloren. Die Bevölkerung kann sich nicht darauf verlassen, dass sie die Verbesserungen durchsetzt, die das Gesundheitssystem so dringend benötigt."
Denn Elus Tod ist nur der letzte in einer ganzen Reihe von Skandalen. Am Tag seines Todes endete die Untersuchung eines Zwischenfalles in einem Krankenhaus in Sydney im September 2007.
Jana Horska war dort mit akuten Schmerzen im Unterleib in der Notaufnahme gelandet: Die Frau war in der vierzehnten Woche schwanger. Zwei Stunden wartete sie darauf, endlich ein Bett zugewiesen zu bekommen und untersucht zu werden.
Ihr Partner geriet in Panik und versuchte die Schwestern auf die Gefahr einer Fehlgeburt aufmerksam zu machen. Die Antwort einer überlasteten Krankenpflegerin: "Wenn sie eine Fehlgeburt erleidet, dann bekommt sie eben eine Fehlgeburt. Es gibt nichts, was ich daran tun könnte."
Jana Horska verlor ihr Kind kurz darauf auf der Toilette des Warteraums. Kurz darauf bekam sie ein Bett und die medizinische Versorgung begann. Der Vorfall blieb ohne Konsequenzen für Krankenhaus, Schwestern und Ärzte.
-spiegel online 23.12.2007 -
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